fem:press
Projektleitung: Rike Schroer
Redaktion: Rike Schroer & Miriam Duwe
Gestaltung: Miriam Duwe
Fotografie: Bonnie Bartusch
Druck: Florian Isensee GmbH
Möglich gemacht im kreativ:LABOR
Als Kinder haben wir nach den Sternen gegriffen. Was wir werden wollen, wenn wir einmal groß sind? Alles! Unserer Phantasie und unseren Träumen waren keine Grenzen gesetzt. Mit jedem Schritt des Älterwerdens sind unsere Kinderträume in unerreichbarere Ferne gerückt. Statt mit wehenden Fahnen ins Leben zu starten, stehen wir nach der Schule vor der Entscheidung, die richtige Ausbildung oder den richtigen Beruf zu wählen. Zwischen richtig und falsch liegt ein Raum – ein Freiraum, der nicht für alle gleich groß ist.
Das Bildungssystem ist Spiegelbild gesellschaftlicher Machtverhältnisse: Bildungserfolge oder Misserfolge werden entlang strukturell hergestellter Ungleichheiten fortgesetzt. Chancengleichheit? Pustekuchen. Wir verlieren den Bezug zu unseren Stärken und Interessen oder finden eigenständig keine Lösungen und sind immer mehr abhängig von äußeren Impulsen. Ob mit Einser-Abitur oder weniger glanzvollen Abschlüssen befinden wir uns früher oder später an einem Punkt der Orientierungslosigkeit.
Das Projekt fem:press ist in vielerlei Hinsicht eine Herzensangelegenheit. Im kreativ:LABOR habe ich einen Ort gefunden, an dem ich mich ausprobieren und aus Fehlern lernen durfte. Susan Mertineit ermutigt, verrückte Ideen auszusprechen und diese selbstwirksam umzusetzen. In der Regel trauen sich diese Ideen nicht aus dem Kopf, weil das Bauchgefühl nicht stimmt, wir Angst vor Ablehnung und Widerstand haben oder wir relativieren, dass der Gedanke nicht wichtig sei. In Wahrheit ist das Leben viel zu kurz, um es für Andere zu leben. Neues wagen, Neues finden: Wer sich traut, über den Tellerrand hinaus zu blicken, kann einiges entdecken.
Diese Zeitung soll insbesondere junge Frauen* ermutigen, größer zu träumen und persönliche Ziele höher zu stecken. Viel zu oft hören wir „Das kannst du nicht“ oder „Dafür bist du nicht ausgebildet“. Die hier abgedruckten Geschichten zeigen, dass solche Einwände oft Unsinn sind. Ich glaube an eine Wirklichkeit, in der nicht unser Geschlecht, unsere Herkunft oder der Bildungsabschluss darüber entscheidet, welche Träume wir träumen. Gemeinsam mit Bonnie Bartusch, Miriam Duwe und Reneé Lilge habe ich zehn Frauen aus unterschiedlichen Professionen, Alters- und Lebensphasen in Oldenburg portraitieren dürfen. Ich bin dankbar um das große Vertrauen aller, die meine Idee unterstützt und sich im Gespräch für mich und die Leser*innen geöffnet haben. Mögen diese Pionierinnen auch euch inspirieren, wieder nach den Sternen zu greifen!
Barbara Schmitz-Lenders
Puppenspielerin & Mutter
"Ich stehe immer vor der Herausforderung, alles, was ich vom Leben will, auch dort unterzubringen."
„Dann such dir mal einen reichen Mann“, habe Barbaras Vater geraten, als sie mitteilte, Puppenspielerin werden zu wollen. Seit 1983 gab es die erste staatliche Ausbildung in Westeuropa: der Studiengang „Figurentheater“ an der „Staatlichen Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Stuttgart“. Dort gehörte sie zu den ersten Studierenden. Bereits in der Schule sei ihr Interesse gewachsen, in Richtung Bühne und Gestaltung gehen zu wollen. Nach einem dreizehnmonatigen Praktikum am Marionettentheater in Düsseldorf war klar: „Das ist genau mein Ding!“
„Wir waren nur acht Studierende: drei Frauen und fünf Männer. Wir Frauen sind nach der Diplomprüfung zur Verwaltung der Hochschule gegangen und haben eine Urkunde beantragt, auf der „Figurenspielerin“ stand.“ Leider ohne Erfolg. „Das ging 1987 noch nicht“, bedauert Barbara.
Das Studium habe sie unmittelbar auf die Selbstständigkeit vorbereitet: „Ich wurde nicht nur in Puppenspiel, sondern auch in Schauspiel, Sprechen, Bühnenbau, Figurenbau und Bühnenbild unterrichtet.“ Noch an der Hochschule lernte sie Pavel kennen. „Es war schnell klar, dass wir nicht nur privat, sondern auch auf der Bühne ähnlich tickten“, so Barbara. Fünf Jahre später zog das Paar nach Oldenburg. Erst hatten die beiden viele Jahre ein Tourneetheater und viel in Frankreich gespielt. Als das erste Kind in die Schule musste, eröffneten sie das Figurentheater in der Wilhelmstraße. Schon dreizehn Jahre später platzte dieser Ort aus allen Nähten.
Mit der gleichen Zielstrebigkeit mit der Barbara ihre Leidenschaft für das Theater verfolgte, habe sie schon immer viele Kinder gewollt. Als das Paar die leerstehende Turnhalle in der kleinen Straße entdeckte, war sie mit ihrem vierten Kind schwanger und musste sich eingestehen, einen Umbau zu diesem Zeitpunkt nicht bewerkstelligen zu können. „Ich stehe immer vor der Herausforderung, alles, was ich vom Leben will, auch dort unterzubringen.“ Nach zwei Jahren stand das Gebäude noch immer leer und sie eröffneten 2008 nach umfangreicher Restauration das neue Theater Laboratorium. „Es wird eine unglaubliche Energie freigesetzt, wenn man das macht, was einem Spaß macht. Bevor die Kinder kamen haben wir Nächte durchgearbeitet und an manchen Tagen drei Mal gespielt. Es ist schön zu sehen, dass sich unser Engagement ausgezahlt hat und wir dafür belohnt wurden“, freut sich Barbara.
Mit zunehmendem Erfolg seien immer mehr administrative Aufgaben für sie hinzugekommen. „Das Organisieren macht mir auch Spaß, aber ich habe das Problem, dass ich sehr vieles gerne mache und dadurch einige Dinge nur streife“, wirft Barbara lachend ein. Bei alledem dürfe nicht vergessen werden, dass Erziehungsarbeit gleichermaßen ein Beruf ist. „Ich habe immer die Vorstellung von Zimmern in mir drin, die gerade belegt sind oder nicht und muss abwägen, wie viel Raum ich noch geben kann.“
Barbara hat nicht weniger Herzblut in die Verwirklichung ihres Traums vom eigenen Theater gesteckt als Pavel und doch reglementieren traditionelle Rollenbilder ihre Sichtbarkeit: „Da ich aus einem überwiegenden Frauenhaushalt komme, hat es mich schockiert, einem bestimmten Bild entsprechen zu müssen, um wahrgenommen zu werden.“ Es gehe ihr nicht darum zu meckern, sondern vielmehr auf die Ungleichheiten aufmerksam zu machen: „Grundsätzlich ist da noch viel Luft nach oben!“ Sie bekomme aber auch Rückmeldungen, bei denen sie merke, dass das Publikum ihre und Pavels unterschiedliche Qualitäten wahrnimmt.
Ein Ende ihrer Karriere ist noch nicht in Sicht: „So lange Publikum da ist und ich Energie habe, mache ich weiter.“ Das Lampenfieber sei nie verschwunden. „Während des Spielens merke ich aber, warum ich das mache: Ich mag die Emotionen im Saal spüren, den Austausch mit dem Publikum, das Künstlerische und Spielerische mit meinem eigenen Körper und den Figuren, die Mischung aus Darstellen und Gestalten wie auch die Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit meines Berufs.“
Beybun Seker
Sozialarbeiterin & Mutmacherin
"Rassismus tötet Selbstwertgefühl."
„Zum Glück habe ich nochmal die Kurve gekratzt“, sagt Beybun über ihre Vergangenheit. Sie habe damals ganz viel Mut in sich getragen und sei in die Extreme abgerutscht. Heute weiß sie, dass eine radikale Überzeugung nur selten zum Erfolg führt: „Wenn jeder Mensch bei sich und seinem Verhalten anfängt, können wir viel bewegen.“
Beybun leistet rassismuskritische Bildungsarbeit: „Ich bezeichne mich selbst als Woman of Color und setzte mich in Oldenburg vor allem für Kinder ein, die dasselbe erlebt haben wie ich.“ Mit den weltweiten Protesten infolge des Mordes an dem Schwarzen US- Amerikaner George Floyd hat Beybun gemeinsam mit weiteren tollen Menschen in Oldenburg das Bündnis UNITED AGAINST RACISM initiiert. „Wir möchten, dass das System als Problem erkannt wird und nicht diskriminierte Menschen und Gruppen selbst“, sagt sie.
Seitdem macht das Bündnis immer wieder mit Aktions- und Gedenktagen auf diskriminierende Handlungspraktiken aufmerksam. Als Aktivistin möchte Beybun sich jedoch nicht bezeichnen: „Mensch muss kein*e Aktivist*in sein, um etwas aktiv zu bekämpfen.“ Der Begriff schrecke nicht nur andere sondern auch einen selbst ab, überhaupt etwas zu tun: „Mensch hat immer die Extreme im Sinn, dabei ist die Grundhaltung im Diskurs viel wichtiger.“ Jede*r könne etwas bewirken: „Es kommt auf die Kontinuität an, Probleme im Kleinen immer wieder zu adressie- ren. Auch der Alltag und das Private sind politisch.“
Beybun hat angefangen zu studieren: „Pädagogisches Handeln in der Migrationsgesellschaft“ an der Universität Oldenburg. Lange habe es ihr an Selbstvertrauen gefehlt, diesen Weg für sich einzuschlagen, unter anderem weil Lehrer*innen nicht an sie geglaubt haben. 2018 kam sie für ein Praktikum beim Jugendmigrationsdienst ins kreativ:LABOR. „Ich habe hier nicht nur Unterstützung sondern auch die nötige Booster-Wertschätzung erfahren, um aus meiner ei- genen Kraft zu schöpfen.“ Insbesondere im Bildungssystem hat Beybun immer wieder erleben müssen, in Kategorien gepresst zu werden.
„Meine Eltern sind aus Nordkurdistan nach Deutschland migriert, sodass ich einfach nicht dieselben Startbedingungen wie andere Kinder in der Schule hatte.“ Beybun ist im Kennedyviertel in Oldenburg aufgewachsen und betreut dort eine Mädchengruppe. Die Arbeit macht ihr Spaß. „Ich möchte die Kids empowern und stärken für alle, vor allem die strukturellen, Hürden, die auf sie zukommen werden.“ Sie möchte mit gutem Beispiel voran gehen und eine Inspiration sein. „Ich hoffe, dass sie eines Tages einen besseren Weg einschlagen oder wie der Phoenix aus der Asche ihre Flügel ausbreiten und selbst etwas bewegen.“
Wie geht es weiter? „Ich bin professioneller geworden und habe gelernt, Ungleichheiten im System zu erkennen, Problematiken zu verstehen und diesen entgegenzuwirken .“ Auch wenn sie Strukturen nicht sofort und alleine ändern kann, möchte Beybun Menschen, die benachteiligt werden, helfen Selbstvertrauen zu erlangen. Mit Abschluss des Studiums möchte sie als Sozialarbeiterin in der JVA tätig werden. „Gefängnisse sind blinde Flecken in unserer Gesellschaft. Da müssen tiefe Falten im System geglättet werden“, fügt sie hinzu. Darüber hinaus wird sie als Ausstiegshelferin im Bereich Rechtsextremismus aus- gebildet: „Ich möchte Nazis aus der Szene heraus helfen und als Multiplikatorin Aufklärung leisten, um gewährleisten zu können, dass die Demokratie nicht gefährdet wird.“
Beybun glaubt daran, dass imaginierte Differenzen überwunden werden können. Das Filmprojekt „Wer ist Oldenburg?“ blieb ihr in besonderer Erinnerung, weil sie durch die zahlreichen Interviews erfahren habe, dass es trotz vermeintlicher kultureller Unter- schiede immer auch Gemeinsamkeiten gibt: „Mama meckert – egal ob kurdisch oder deutsch gelesen – wenn du deine TUPPER-Dose in der Schule vergessen hast.“
Dörthe Bührmann
Initiatorin & Impulsgeberin für gehört und gesehen werden
"Sich selbst zu sehen und zu äußern macht etwas mit Menschen."
Dörthe hat die Initiative aufgebaut und ist (Mit)Gründerin des Radio- und TV-Senders Oldenburg Eins (oeins), der im letzten Jahr (2021) sein 25. Jubiläum feierte. „Anschub und Senderaufbau waren eine Mammutaufgabe, weil wir uns gegen bestehende Strukturen durchsetzen mussten.“ Bis heute gibt es in Oldenburg nur eine große Regionalzeitung: „Der gesellschaftspolitische Hintergrund unseres Senders ist es, ein unabhängiges Medium zu sein, an dem Menschen unzensiert teilhaben und insbesondere Randgruppen hörbar werden.“ Dörthe hat mit ihren Mitstreiter*innen eine Plattform geschaffen, die Menschen, besonders auch Mädchen und Frauen, ermutigt, Medien für ihre Anliegen zu nutzen.
„Damals hätte ich nicht gedacht, was die Medienentwicklung via Internet mal für einen Hype auslösen würde.“ In Anbetracht dessen sei es umso wichtiger, dass es ein öffentlich begleitetes Medium gebe, bei dem alle – unterstützt und nach geltendem Recht – mitmachen können. „Sich selbst zu sehen und zu äußern macht etwas mit Menschen“, fügt sie hinzu.
Wie wichtig unsere Grund- und Menschenrechte sind, macht Dörthe an ihrem Projekt zum 70-jährigen Bestehen des Grundgesetzes deutlich: „Grundwerte gehen vom Individuum aus und bilden immer die Grundlage für Kommunikation und Austausch, insbesondere für Menschen, die Demokratie neu erfahren.“ Auch wenn es häufig mühselig sei und es einen langen Atem brauche, demokratische Strukturen zu leben, lohne es sich: „Unterdrückung schlägt immer an anderer Stelle zurück .“
Begegnungen, Austausch und Dialog stehen im Mittelpunkt ihrer Arbeit. „Ich finde es erschreckend, dass wir in einer Zeit leben, wo Menschen sich konfrontativ begegnen und polarisierend miteinander umgegangen wird. Wir dürfen unserem Gegenüber nicht mit Abwertung oder gar Entwertung begegnen.“
Dörthe hat viel erreicht:„Rückblickend habe ich in jedem Jahrzehnt eine innovative Initiative angeschoben.“ Angefangen hat sie damit Ende der 80er Jahre mit der ersten Frauenwoche an der Universität Oldenburg: „Wir gingen den Fragen nach, wer die Definitionsmacht hat, warum immer Männer im Zentrum der Macht stehen und Frauen – metaphorisch gesehen – in die Provinz gedrängt werden.“
Es folgen der oeins und die Mieter*inneninitiative zum Erhalt der Breslauer Straße. Mit der Flüchtlingsmigration ab 2015 hat Dörthe versucht mediale Brücken zu bauen und eine interkulturelle Redaktionsgruppe ins Leben gerufen. Hier berichten Menschen aus unterschiedlichen Perspektiven über ihr Leben in unserer Stadt: „In dem interkulturellen Miteinander öffnen sich neue Welten und Erkenntnisse. Das ist spannend und bereichernd.“
Wie geht es weiter? Das ist noch offen: „Ich muss auch mal zurücktreten, um mehr Muße zu haben für eigene kreativ-künstlerische Prozesse.“ Dörthe hat auf ihrem Weg immer wieder Rückschläge einstecken müssen: „Wenn dominante Muster ins Spiel kommen, wurde ich häufiger übergangen oder an den Rand gedrängt.“ Das Problem greife tiefer: In öffentlichen Strukturen seien Frauen grundsätzlich benachteiligt. Dörthe bedauert: „Ich habe es zwar in diese Struktur hineingeschafft, aber es ist mir nicht immer geglückt, darin zu bestehen.“
Die langen Strecken von der Idee bis zur Projektrealisierung haben viel Energie gekostet. Dennoch ist Dörthe glücklich, dass sie durch ihr Engagement Neues hervorgebracht hat, das nachhaltig weiter besteht. „Ich habe immer versucht, ein gemeinsames Miteinander zu fördern. Da steckt eine große Por- tion Idealismus drin, doch auch eine Spur Naivität“, fügt sie lachend hinzu.
Katrin Windheuser
Veranstalterin, Musikpädagogin & Musikerin
"Ich wünsche mir, dass insbesondere Frauen und FLINTA* ein Selbstbewusstsein erlangen, ihre Arbeit geltend zu machen."
Wir gehen an den Hafen, um Katrin zu portraitieren. „Ich war im Bahnhofsviertel zuhause und habe hier angefangen zu arbeiten“, erzählt sie. Katrin ist Instrumentallehrerin für Saxophon und Klarinette sowie Veranstalterin diverser Projekte im Kultur- und Musikbereich. Darüber hinaus ist sie Mitglied der Band KASKA. Der Übergang ist fließend: „In meiner Funktion als Künstlerin auf der einen und als Veranstalterin auf der anderen Seite ermögliche ich Kindern und Jugendlichen, aber auch Erwachsenen, den Einstieg in Kunst und Kultur.“ Während des Musik- und Mathematikstudiums in Oldenburg hat Katrin angefangen, kleine Veranstaltungen zu organisieren. „Die Teilnahme an einer Kulturveranstaltung kann nicht nur Freizeit und Entspannung bedeuten, sondern auch veranlassen, sich mit neuen Themen oder einer anderen Perspektive auseinander zu setzten.“ Im Zusammenschluss mit engagierten Kulturschaffenden gründet Katrin 2012 den Freifeld e.V. und veranstaltet in den darauf folgenden Jahren zwei erfolgreiche Festivals, die in Oldenburgs Kulturlandschaft neue Impulse anstoßen.
Seit 2017 wohnt Katrin in Bremen und ist dort vor allem in den Pusdorf Studios tätig: „Neben dem 13° Festival organisiere und kuratiere ich dort weitere Kulturveranstaltungen wie Konzerte und Lesungen.“ Darüber hinaus ist sie regelmäßig in andere Projekte wie die Breminale oder das Draußen-Kino plus involviert. Als Kuratorin einer Veranstaltung oder eines Festivals wählt Katrin immer auch das Programm aus: „Ich benutze den Begriff vor allem, weil ich finde, dass andere Begriffe häufig zu Irritationen führen. Wenn ich sage, dass ich eine Kulturveranstaltung mache, denken Leute häufig, dass ich alles mache, sowohl organisieren als auch auftreten. Wenn ich sage, dass ich eine Kulturveranstaltung organisiere, schwingt immer eine technische Komponente mit, wie das Betreuen der Bühne im weitesten Sinne“, erklärt sie. Es gehe dabei nicht nur um die Programmauswahl, sondern auch um den Rahmen einer Veranstaltung: „Das 13o Festival beispielsweise steht für Diversität, indem wir einen Fokus darauf legen, dass Frauen und FLINTA* in Entscheidungspositionen sind, sowohl hinter den Kulissen als auch auf der Bühne.“ Diese Entscheidung sei nicht nur ein formaler Aspekt, sondern beeinflusse die gesamte Atmosphäre vor, während und nach dem Festival. Vom 13o Festival im vergangenen Jahr berichtet sie: „Als Veranstalterin erschien das Wochenende wie eine kleine Utopie und es war besonders schön zu sehen, dass sich alle auf Augenhöhe und sehr wertschätzend begegnen und professionell miteinander arbeiten.“
Vor zwei Jahren erhielt Katrin eine Festanstellung im Kulturbereich in Teilzeit, nachdem sie viele Jahre ausschließlich auf selbständiger Basis tätig war. „Auf der einen Seite arbeite ich sehr gerne selbstständig. Ich bestimme meine eigenen Projekte und kann den Fokus so setzen, wie ich es möchte. Auf der anderen Seite bin ich für alles selbst verantwortlich.“ Wie so viele Beschäftigte in der Veranstaltungsbranche hat Katrin die Auswirkungen der Pandemie zu spüren bekommen: „Im letzten Jahr hatte meine Festanstellung den großen Vorteil, dass ich Kurzarbeitergeld bekommen konnte.“
Wie geht es weiter? „Rückblickend habe ich viele Wünsche für mich realisiert und bin glücklich über das, was ich mache und wie ich arbeite.“ Doch die Projekte und Ideen gehen nicht aus. Überraschend fügt sie hinzu: „Ich habe zusammen mit einem Freund, Nils Nolte, einen Roman geschrieben und denke darüber hinaus über ein Musiklehrbuch nach.“ Katrin ermutigt, individuelle Qualifikationen spartenübergreifend zu denken: „Ich wünsche mir, dass insbesondere Frauen und FLINTA* ein Selbstbewußtsein erlangen, ihre Arbeit geltend zu machen und entsprechend dafür entlohnt werden und dass sich daraus Netzwerke bilden, bestehend aus Veranstalter*innen, Musiker*innen, aber auch Fotograf*innen und Menschen, die Öffentlichkeitsarbeit leisten.“
Lena Ahone Nzume
Akademikerin, Aktivistin & alleinerziehende Mutter
"Rassismus betrifft uns alle in unterschiedlicher Weise, die einen profitieren, die anderen werden benachteiligt."
Wir treffen Lena im Stadtteil-Café des Treffpunktes Gemeinwesenarbeit im Oldenburger Kennedyviertel. Der Verein hat zum Ziel, Potentiale von Anwohnenden zu stärken und somit Hilfe zur Selbsthilfe zu ermöglichen. „Der Verein spiegelt sowohl mein berufliches Interesse als auch mein privates Engagement wider“, erzählt Lena. Sie habe bereits viele Aktionen, Workshops und Projekte im sowie durch den Verein realisieren können. Lena ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Oldenburg mit dem Forschungsschwerpunkt „Rassismuskritische Schulentwicklung“. Sie fügt hinzu: „Der Abbau von Benachteiligung und sozialer Ungleichheit sowie die Verbesserung von Bildungs- und Teilhabechancen sind wichtige Themen, für die ich mich mit aller Kraft einsetze – sowohl auf praktischer als auch auf theoretischer Ebene.“ Vorher war Lena sechs Jahre lang bei der Stadt Oldenburg im Bereich Integration als Bildungskoordinatorin und zwischenzeitlich als kommissarische Integrationsbeauftragte tätig: „Es war mir wichtig, den Fokus nicht nur darauf zu legen, Migrationsandere zu integrieren, sondern die Strukturen unserer Gesellschaft zu reflektieren.“
Ein Augenmerk läge daher darauf zu verstehen, wie Ausgrenzung funktioniert und an welcher Stelle Barrieren auftreten. „Rassismus betrifft alle in unterschiedlicher Weise, die einen profitieren, die anderen werden benachteiligt“, sagt Lena. „Alle haben rassistisches Wissen gelernt und auch internalisiert.“ Auf praktischer Ebene müsse dafür ein Bewusstsein bei der weißen Mehrheitsgesellschaft geschaffen werden.
Auf ihrem Weg von der Integrationsarbeit zur Promotion ist Lena immer auch politisch aktiv gewesen. Im vergangenen Jahr hat sie für die Grünen bei der Kommunalwahl kandidiert. „Ich habe angefangen zu überlegen, wie Systeme von innen heraus oder von außen transformiert werden können. Bei der Stadt war ich im System, während ich hier im Verein von außen wie auch als Verbündete agieren kann.“
Lena ist optimistisch: „In den letzten Jahren hat sich viel getan. Aber zugleich gibt es eine paradoxe Gleichzeitigkeit – es gibt mehr kritisch-reflexives Bewusstsein und zugleich ein Wiedererstarken von völkischen und nationalistischen Ideologien. Es ist schwierig, aber möglich, im System Transformation anzustoßen.“ Man brauche jedoch viel Ausdauer, um häufig nur sehr kleine Veränderungen zu bewirken. „Manchmal habe ich das Gefühl, mich in einem Hamsterrad zu drehen, weil vor allem das Bildungssystem sehr veränderungsresistent ist.“ Lena spricht hier aus Erfahrung: „Auch aus meiner Biografie heraus weiß ich, welche Probleme adressiert werden müssen und wie wichtig Bildung ist.“ Mit acht Jahren ist Lena von Kamerun nach Deutschland gezogen. Ihre Mutter ist Deutsche und ihr Vater Kameruner. „Ich bezeichne mich als Schwarze Deutsche.“ Lena erklärt: „An dieser Stelle geht es um eine politische Selbstbezeichnung. Obwohl ich durch meine Mutter auch eine weiße Teil-Identität habe, würde ich nie dieselben Privilegien erhalten.“
Lena möchte eine Gesellschaft anstoßen, in der sich alle gleichermaßen zugehörig fühlen. Es sei traurig und frustrierend zu beobachten, dass vieles von dem, was sie als Kind erlebt habe, noch heute präsent sei. „Wir haben so viel Wissen und handeln so wenig. Noch immer braucht es die Betroffenheit von rassistisch diskreditierten Menschen und Gruppen, um Ungleichheit sichtbar zu machen“, beklagt sie. „Ich muss immer entscheiden, wie viel ich persönlich preisgebe und wie verletzlich ich mich dadurch zeige.“ Umso schöner seien Momente der Kommunikation und des Austauschs, welche sie hier im Verein häufig erlebe. Hoffnungsvoll fügt sie hinzu: „Es macht mich glücklich zu sehen, dass in dem Alter meines Sohnes (15) Diversität und Vielfalt als Normalität gelebt und wahrgenommen werden.“
Lucia Loimayr-Wieland
Künstlerin
"Grundsätzlich sollten wir uns mehr trauen im Prozess des Abschiednehmens."
Wir treffen Lucia in ihrer Werkstatt. An der Wand steht ein bunt bemalter Sarg. „Das ist meiner“, sagt sie. „Rot ist eine wichtige Farbe in meinem Leben und die anderen Farbspuren stehen für Personen in meinem Leben.“ Auch ihr Totenhemd ist wohl überlegt: „Es ist schwarz und hat unterschiedliche Bänder angenäht, mit denen man mich einwickeln kann.“ Ob sie wirklich darin bestattet werde, weiß sie noch nicht. „Geschmack ändert sich“, fügt sie lachend hinzu. Lucia ist Sargmalerin, doch sie hadert mit der Bezeichnung und erklärt: „Das ist nur eine kleine Facette von dem, was mich ausmacht. Ich bin eine Frau, die sich grundlegend mit Abschiedskultur beschäftigt.“
Seit zwanzig Jahren lebt die gebürtige Österreicherin in Norddeutschland. „Ich bin in Linz geboren und habe länger in Salzburg gelebt.“ Damals habe sie den Impuls verspürt, Bestatterin zu werden. Stattdessen ist sie bei der Stiftung Hospizdienst in Oldenburg tätig geworden und hat dort den ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst aus der Wiege gehoben. „Meine Aufgabe ist es, Familien zu begleiten, deren Kinder früh sterben werden. Im Leben, im Sterben und in der Trauer“, erklärt sie. Durch ihren Beruf und die Leidenschaft, Bilder zu malen, habe sich das Thema immer weiter verwoben.
Im Rahmen der Ausstellung „Mein letztes Hemd“ überführte Lucia ihre Gedanken in die Praxis. Wie soll mein letztes Hemd aussehen? „In Österreich bezeichnen wir den Sarg als Holzpyjama. Hier liegt das letzte Hemd bereits im Wort. Für mich war dies der Impuls, meinen eigenen Pyjama zu gestalten – einen Sarg, der mir das Gefühl vermittelt, dort gut aufgehoben zu sein, wenn es so weit ist.“ Das Ergebnis sorgte für Aufsehen. „Darf man das?“, hätten viele Besucher*innen mit Blick auf den bunten Sarg gefragt. „Warum denn nicht?“, habe Lucia erwidert.
Mit zunehmender Individualität seien in unserer Gesellschaft viele Bestattungsrituale verloren gegangen: „Viele Menschen zögern und wissen nicht, wie sie mit Trauer umgehen sollen, aber auch, wie sie selbst bestattet werden möchten.“ Lucia begegnet Angehörigen mit Interesse und stellt Fragen, um he- rauszufinden, was im Prozess des Abschiednehmens heilsam sein könnte. „Wir haben alle einen ganz unterschiedlichen Umgang mit dem Tod. Das ist auch okay. Grundsätzlich sollten wir uns aber mehr trauen“, fordert sie.
Die Auseinandersetzung mit der Sarggestaltung kann Familien im Gespräch und in der Emotion darüber zusammenführen. „Für mich sind es wahre Glücksmomente, diesen Prozess anstoßen zu dürfen, indem ich einen Raum dafür schaffe“, sagt sie. In der Regel lässt Lucia den Sarginnendeckel frei, um durch Fotos, Briefe und andere individuelle Erinnerungsstücke die Möglichkeit zu geben, auf ganz persönliche Art und Weise Abschied zu nehmen.
Erst kürzlich ist Lucias Mann verstorben: „Meine persönliche Erfahrung trägt mich, auch andere Familien in ihrer Trauer zu unterstützen.“ Beide hätten immer offen über den Tod reden können und als sein Ende absehbar gewesen sei, habe sie ihm einen Sarg zum Geburtstag gestaltet: „Für manche Gäste war es ein bisschen schräg zu sehen, dass zuhause unsere Särge bereitstehen“, sagt sie. „Für mich aber war das ein unglaublich intensiver Prozess.“
Lucias Sargkunst ist bis heute keine kommerzielle Geschäftsidee. Sie malt hauptsächlich für Freund*innen und Menschen, denen sie im Rahmen der Stif- tung Hospizdienst begegnet.
Marianne Garbe
Künstlerin
"Unabhängig vom Intellekt ist jeder Mensch in der Lage, Kunst zu verstehen, denn es gibt kein richtig oder falsch, nur den individuellen Ausdruck."
„Die Welt war ein offenes Buch für mich“, sagt Marianne über ihr Kindheit im Berlin der Nachkriegszeit. „Meine Kindheit hat viel mit meinem Lebenslauf zutun, weil ich in den Trümmerlandschaften alle Freiheiten hatte zu spielen, zu entdecken, zu erkunden, zu begreifen.“ Mariannes Leben änderte sich, als ihr Vater aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrte: „Ich habe nach dem Abi an der Pädagogischen Hochschule in Hamburg angefangen zu studieren, weil mein Vater wollte, dass ich Hauswirtschaftslehrerin werde.“ Die Rückkehr des Vaters habe ihr Leben auf den Kopf gestellt. „Er beanspruchte etwas, was vor- her meine Mutter für uns lebte“, erzählt sie. Ihr ganzes Leben lang sah Marianne sich immer wieder mit Erwartungen von anderen wie auch verfestigten Rol- lenbildern konfrontiert. „Es wurde immer etwas erwartet, von dem ich nicht glaubte, dass es richtig sei. Ich wollte dem auch entgegenstehen“, fügt sie hinzu.
In Hamburg habe Marianne sich für Kunst und Germanistik eingeschrieben und nach dem Abschluss eine Ausbildung zur Goldschmiedin in Worpswede gemacht. Trotz einer Fortbildung in Hanau habe sie sich nicht als Goldschmiedin betiteln dürfen: „Ich war nur Gesellin und habe mich stattdessen Schmuckgestalterin genannt“, sagt sie lachend. Fast zehn Jahre lang war Marianne als solche tätig und auf den Frankfurter Herbst- und Frühjahrsmessen vertreten. Es sei eine schöne Zeit gewesen: „ Ich habe gut verkauft, aber es war auch sehr anstrengend.“ Sie legte ihren Beruf ab und fing an, in Kassel Kunst und Philosophie zu studieren. Parallel nimmt sie an Ausstellungen für Frauenkunst in Berlin und Frankfurt teil. „Die ersten seiner Zeit“, erzählt sie mit Nachdruck.
Marianne geht nach Spiekeroog, um dort an einem Internatsgymnasium zu lehren. Zuvor habe sie an dem Gymnasium in Göttingen unterrichtet, an dem sie selbst Abitur gemacht hat. 2006 wurde sie von einer Freundin an das Blauschimmel Atelier in Oldenburg geholt. „Zuerst war ich ehrenamtlich im ge- schäftsführenden Vorstand tätig, bis ich mich immer mehr dem Kunstbereich zugewendet habe.“ Bis heute spiele Marianne leidenschaftlich gerne mit un- terschiedlichen Ausdrucksweisen – auch in der Kunst – und habe jüngst auch großen Gefallen an der experimentellen Musik der Blauschimmel Band gefunden. „Spielen ist ein glücklicher Zustand und jegliche Kunst hat immer auch mit Spielen zu tun“, so ihre Philosophie.
Das Blauschimmel Atelier habe bei ihr einen Nerv getroffen, auch weil dort Menschen mit und ohne Beeinträchtigung gleichermaßen Kunst machen. Sie schwärmt: „Es ist umwerfend, was daraus entsteht. Ich freue mich grenzenlos über dieses Geschenk.“ Das Potential würde nur von wenigen Menschen ge- sehen werden, weil Vorurteile bestünden. „Wenn etwas wirklich authentisch ist, ist es in keiner Weise falsch zu verstehen. In der Kunst gibt es keine Grenzen, nur der Mensch hat welche.“
Marianne ist noch nicht am Ende ihres Weges angekommen. „So lange ich noch etwas tun und schaffen kann bin ich mit großer Freude im Blauschimmel Atelier.“ Motivation wie auch Anerkennung erhalte sie von Menschen, mit denen sie im Workshop oder Projektrahmen interagiere: „Wenn ich sehe, dass jemand etwas produziert, der oder die vorher sagte, er oder sie könne das nicht, und selbst sieht, dass es gut ist, dann bin ich glücklich.“ Im Kampf um die Sichtbarkeit von Frauenkunst bedarf es jedoch eines längeren Atems: „Da ist eine große Ignoranz auf dem Markt und eine normative Grundhaltung, eine gewisse Handschrift zu erfüllen. So gesehen ist immer dasselbe gefordert, mal in Gelb und mal in Grün.“
Marion Fitje
Kinobetreiberin & Aktivistin
"Ich möchte Frauen und queeren Personen weltweit eine Plattform geben, ihren Film, in ihrer Sprache zu zeigen."
Marion ist Initiatorin des Kinos Cine k in der Kulturetage und ist darüber hinaus politisch wie auch in Sachen Feminismus aktiv. Wie passt das zusammen? „Kino ist für mich mehr als nur gucken. Ein Film trägt viele Emotionen und hat verschiedene Ebenen, die eine Auseinandersetzung anstoßen, mit uns selbst oder im Kollektiv“, erklärt Marion. Das Cine k zeigt Filme jenseits des Mainstreams, die über bekannte Erzählmuster kommerzieller Produktionen hinausgehen, häufig im Original mit Untertiteln: „Ich möchte offen sein für die ganze Welt. Jedem Land, das in der Lage ist, einen Film zu pro- duzieren, möchte ich eine Plattform geben, ihren Film in ihrer Sprache zu zeigen.“
Marion ist ausgebildete Erzieherin und mit Abschluss der Ausbildung nach Oldenburg gezogen. „Während es meine jüngste Schwester nach Berlin zog, war das für mich ein großer Schritt“, sagt sie lachend. In Oldenburg hat Marion angefangen, sich mit Frauenthemen auseinanderzusetzten: „Ich habe ehrenamtlich im Frauenhaus gearbeitet und bin später mittels einer ABM-Stelle dort eingestiegen, bis ich schließlich fest angestellt wurde.“ Parallel habe sie ihr Abitur nachgemacht und ein Studium angefangen: „Ich habe diverse Stationen durchlaufen und mich in vielen Bereichen ausprobiert. Das Studium habe ich abgebrochen, weil ich schnell gemerkt habe, dass ich keine Theoretikerin bin.“
In vielen Einrichtungen war sie immer wieder mit hierarchischen Strukturen und Zwängen konfrontiert, die ihrem Verständnis von selbstbestimmter Arbeit nicht entsprachen. „Ich habe mich dort nicht langfristig gesehen und wollte mich dort auch nicht verorten“, sagt sie zum Beispiel über ihre Tätigkeit in der Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Aufgrund ihres politischen Interesses ist Marion seit der Gründung 1993 im Medienbüro Oldenburg e.V. aktiv. Der Verein ist vor allem in Sachen Filmvermittlung aktiv, um Kinder und Jugendliche medienpädagogisch zu begleiten. „Ich arbeite gerne mit Kindern zusammen, da sie unbefangen und frei mit dem Medium Film umgehen“, sagt sie über ihr Engagement. Im Rahmen des Vereins habe sie zehn Jahre lang die Oldenburger Filmtage ausgerichtet. Mit dem Auslaufen der Finanzierung für die Veranstaltungsreihe sei ihr Wunsch gewachsen, ein eigenes Kino zu betreiben.
Gemeinsam mit Mitstreiter*innen machte sie sich daran, ein Konzept für das leerstehende Lichtspielhaus im Ziegelhof zu erarbeiten. Marion bedauert: „Leider hat die Stadt uns keine Anschubfinanzie- rung gewährt und auch der Eigentümer hat eine für uns utopische Miete verlangt.“ Während sich die Gruppe immer weiter auflöste, entschied Marion weiter zu machen: „Ich hatte das große Glück, dass meine Kinder schon selbstständig waren und ich ein finanzielles Risiko eingehen konnte.“ Kurz darauf habe die Kulturetage die Technik des alten Lichtspielhauses gekauft, woraufhin Marion zusammen mit Wolfgang Bruch anfing, wö- chentlich Filme zu zeigen. Schnell habe sich daraus ein regelmäßiger Filmbetrieb entwickelt. 2013 gründeten sie die Cine k GbR, um neben der Vereinsarbeit vom Kinobetrieb leben zu können.
Seit Beginn der Pandemie sei ihre Zukunft ungewiss: „Kinos sind insofern doppelt betroffen, als dass neben den Kontaktbeschränkungen noch hinzu kommt, dass Streaming-Dienste einen enormen Aufschwung erfahren haben.“ Anstatt den Kopf in den Sand zu stecken müsse Kino immer wieder neu gedacht werden, findet Marion: „Wir müssen uns fragen, welche Art von Kino überlebensfähig ist.“ Trotz vieler Rückschläge habe sie noch immer Motivation und Energie, dies zu diskutieren. „Ich möchte, dass meine Arbeit Bestand hat, auch für Menschen, die folgen oder gerade erst einsteigen.“
Natascha Czichon
Stagemanagerin & Performerin
"Es ist schwieriger geworden, Sachen mit anstrengendem Inhalt zu verkaufen."
Natascha zaubert. Nicht das Kaninchen aus dem Hut, sondern jeden Abend ein Erlebnis für das Publikum in der Kulturetage. „Ich komme als erste und gehe als letzte“, sagt sie über ihre Tätigkeit. „Ich nehme die Künstler*innen in Empfang und sorge dafür, dass alles so ist, wie sie es brauchen.“ Je reibungsloser das laufe, desto schöner sei der Abend für alle Beteiligten. Geplant habe sie ihren Lebensweg nicht. Natascha liebt die Bühne und insbesondere das alternative Tanztheater. „Weil ich mir den Eintritt nicht leisten konnte, habe ich, während meines Studiums in Sport und Germanistik, ehrenamtlich die Abendspielleitung in der Kulturetage übernommen, um mir die Shows angucken zu können“, erzählt sie. Bis heute ist sie mit dem Kulturzentrum im Oldenburger Bahnhofsviertel tief verbunden.
Seit der Gründung habe sich vieles verändert: „Nicht nur das Haus, sondern auch das Reglement war damals kleiner.“ Um das Kulturzentrum langfristig finanzieren zu können, seien die Shows immer kommerzieller geworden und mit der Zeit habe sich auch das Publikum verändert: „Durch das Internet und mit der Schnelllebigkeit digitaler Medien sind die Menschen nicht mehr so aufmerksam und geduldig wie früher.“ Es sei schwieriger geworden, anstrengende Inhalte zu verkaufen. „Das Publikum will entertaint werden, sich zurücklehnen und einfach einen schönen Abend haben.“
Während die einen sich freuen, arbeiten die anderen: „Das Strickmuster von kommerziellen Produktionen ist eigentlich immer dasselbe“, beklagt Natascha. Besonders aufregend, aber auch anstrengend, seien alternative Produktionen wie „Is‘ doch normal ey!“ oder das„MundArtFestival“. „Das sind für mich richtige Herausforderungen, auf die ich Bock habe, weil sie abseits des Kommerzes liegen.“
Auf dem Weg zur Festanstellung in der Kulturetage hat Natascha viele Kurven eingeschlagen. „Einerseits hat mich diese Sicherheit total entlastet, aber andererseits engen mich feste Strukturen ein und ich breche gerne aus.“
Während einer Turnveranstaltung im Studium wurde Natascha vom Zirkus RÄMMI DÄMMI gecastet. „Ich war nicht besonders gut, hatte aber jede Menge Spaß dabei“, erzählt sie lachend. Drei Jahre lang entwickelte sie als Sportpädagogin bei dem Oldenburger Mitmachzirkus mit Kindern und Jugendlichen ein eigenes Bühnenprogramm. „Wenn mich während dieser Zeit jemand gefragt hätte, ob ich davon mal leben könne, hätte ich das nicht für möglich gehalten.“ Kurz darauf erhält Natascha die Möglichkeit, auf der AIDA zu arbeiten. „Ich habe es genossen dort tätig zu sein und habe das Gefühl, in diese Welt zu gehören“, schwärmt sie.
Als Natascha in die Kulturetage zurückkehrt, taucht sie immer weiter hinter die Kulissen des Showgeschäfts ein. „Ich versuche im gesamten Team das kommunikative Element zu sein, damit sich alle wahrgenommen fühlen und einen guten Job machen.“ Mit viel Herzblut und Engagement ist es Natascha gelungen, in der Kulturetage ein fundamentales Netzwerk und einen nachhaltigen Wohlfühlraum für Künstler*innen, Besucher*innen und Personal gleichermaßen zu schaffen.
„Ich habe lange für diese Sache gebrannt und bin jetzt am Ende“, sagt sie. Mit zunehmender Kommerzialisierung ginge die Auseinandersetzung mit und ein Dialog in der Kunst verloren. Sie appelliert: „Ich bin überzeugt, dass die Kulturlandschaft anders aussehen könnte, wenn von staatlicher Seite andere Mittel zur Verfügung stünden, sowohl für die alternative Szene als auch für Künstler*innen.“
Susan Mertineit
Möglichmacherin
"Ich bin überzeugt, dass gerade in unserer heutigen Ich-Gesellschaft Menschen und Gruppen unterstützt werden sollen, die sich für ein Wir einsetzen."
Susan ist Möglichmacherin im kreativ:LABOR und findet es spannend Ideen, Wünsche und Visionen möglich zu machen. Sie unterstützt auch gerne das, was andere Menschen machen wollen. „Ich habe vor zwölf Jahren begonnen Möglichkeitsräume aufzubauen, um mit Räumen und Infrastruktur, durch Netzwerke, Menschenverstand und Erfahrung sowie durch Fördermittel-Support Kreative und gesellschaftlich Engagierte zu unterstützen“, erklärt sie. Warum? „Ich bin überzeugt, dass gerade in unserer heutigen Ich-Gesellschaft Menschen und Gruppen unterstützt werden sollen, die sich für ein WIR einsetzen, für Solidarität, die Kritik äußern oder Bedarfe formulieren. Mit ihrem Engagement kann unsere Welt ein bisschen besser werden.“
Susan ist 1996 von Berlin nach Oldenburg gekommen und hat angefangen in der Kulturetage zu arbeiten. „Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass die Kommerzialisierung des öffentlichen Raums und die Gentrifizierung hier im Bahnhofsviertel immer weiter voranschreiten und ich wollte dem etwas entgegensetzen. Dank der Chance, ein EU-Projekt zu initiieren, konnte ich 2009 die ersten Möglichkeitsräume, das QuARTier, eröffnen und eine Filmdokumentation „Mensch macht Stadt“ über das lebendige und diverse, aber missachtete Bahnhofsviertel realisieren“.
Als das von Vielen genutzte QuARTier im Zuge der Sanierung des Bahnhofsviertels drei Jahre später abgerissen wurde, war der Bedarf an niedrigschwel- ligen und günstigen Räumen und den daraus entstehenden vielfältigen Impulsen anerkannt. Mit kommunaler Zustimmung konnte sie Strukturfördermittel des Landes Niedersachen einwerben und 2015 das kreativ:LABOR im Ostflügel der Kulturetage – erstmal für drei Jahre – eröffnen und aufbauen.
„Ganz am Anfang hielt ich es gar nicht für möglich, eine langfristige, institutionelle Unterstützung zu erhalten.“ Investitionen oder Projektfinanzierungen sei das eine, aber es sei viel schwieriger nachhaltige, langfristige Räume zu schaffen: „Ich staune heute noch über die Energie und den langen Atem, manchmal auch über die freundliche Penetranz, von uns und unseren Wegbegleiter*innen.“
Susan lebt im kreativ:LABOR nach ihrem Motto: nicht meckern, machen! „Es ist ein Geschenk, dass das kreativ:LABOR so gut angenommen wird und sich unterschiedliche Gruppen hier auf unterschiedlichste Weise für den sozialen, ökologischen und gesellschaftlichen Wandel einsetzen. Ich genieße diese Arbeit, den Kontakt und die Inspiration durch die vielen aktiven Nutzer*innen.“
Es gibt noch einige Ideen rund um das kreativ:LABOR, die umgesetzt werden sollen. Aber: „In meinem Alter denke ich ab und zu auch schon mal an eine Zeit nach der Lohnarbeit“, sagt sie auf dem Weg in das Treppenhaus, wo wir ihr Portrait aufnehmen. „Ich mag dieses Treppenhaus – es verbindet Menschen, Räume, Ebenen und es bleibt die Verbindung und der Weg hoch und runter, auch wenn sich das Innenleben der Räume, die Menschen, die Themen verändern.“
Ihr ist der Stolz anzumerken, auf all das, was in den letzten zehn Jahren hier entstanden ist und gelebt wird. Natürlich wünscht sie sich auch, dass das ge- sehen und wertgeschätzt wird. Die Sichtbarkeit von Frauen in der Kulturarbeit ist ähnlich wie die Sichtbarkeit von Möglichmacherinnen. „Diejenigen, die sich gerne und viel in der Öffentlichkeit präsentieren werden natürlich auch mehr wahrgenommen“. Überwiegend männliche Machende stellen sich häufiger, genüsslicher und ungenierter ins Rampenlicht mit eigenen Aktivitäten – oder denen anderer. Das Problem sei nicht allein die Lautstärke des einzelnen, sondern auch die Struktur dahinter.
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